WOLFGANG KAITNA*
IM ARCHITEKTONISCHEN RAUM
„Das einzelne Werk
ist nur eine Variante
im Rahmen der
übergeordneten Konzeption;
ein Spiel,
das nachvollzogen werden kann.“
Walter Kaitna, 1968
Walter Kaitna hat am Beginn der achtziger Jahre gemeinsam mit Wolfgang Kaitna an zwei internationalen Wettbewerben für künstlerische Gestaltung im öffentlichen Raum teilgenommen. Zunächst entstand für Central Glass Ltd., Tokio, der Entwurf für ein „Hometown Museum for the Culture of the Future“ (1980), dem von der Jury unter dem Vorsitz von Kenzo Tange der zweite Preis zugesprochen wurde. Beim zweiten Projekt (1983) für den Niedersächsischen Landtag handelt es sich um den Entwurf für ein "Wahrzeichen beim Landtagsgebäude in Hannover".
Die beiden Konzepte regen zur Analyse des logischen Aufbaus der architektonischen Position von Kräftekonstellationen in ihrer Beziehung zum öffentlichen Raum an. Der architektonische Raum unserer Betrachtung ist keineswegs jener reale Raum, den man architektonisch zu nennen pflegt, sondern der Raum der Bezüge und Referenzen, in dem man Architektur denken kann. Bestehende Architekturtheorien bilden in diesem umfassenden Konzept nur Raumabschnitte. Die Frage ist demnach nicht „Was ist Architektur?“ – und zwar im Sinne existierender architektonischer Projekte –, sondern die Frage lautet: „Wie läßt sich Architektur in einem umfassenden Zusammenhang denken?“ In diesem Sinn ist die architekturbezogene Konzeption der Kräftekonstellationen im Spannungsfeld wissenschaftlicher Raum- und Architekturtheorien und den Raumkonzeptionen des Konstruktivismus sowie verwandter Kunstphänomene zu positionieren.
Museum in der Heimatstadt für die Kultur der Zukunft

Internationaler Architekturplanungs-Wettbewerb, "Central Glass", 1980, Tokio:
"Hometown Museum for the Culture of the Future"
2. Preis: Walter Kaitna in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kaitna
An die Wettbewerbsaufgabe, ein „Museum in der Heimatstadt für die Kultur der Zukunft“ zu konzipieren, wurde auf Basis einer kritischen Standortbestimmung der kunst- und kulturspezifischen Situation in Wien herangegangen. Zur Lösung der Problemstellung wurden die Mittel konstruktiver Kunst eingesetzt.
Einem Zeitalter, in dem die Technologie begonnen hat, das Erkenntnisvermögen in eine bisher ungeahnte Dimension zu erweitern und mit progressiv anwachsender Geschwindigkeit zu vermehren, steht in weiten Bereichen der Gegenwartskunst- und -architektur ein hohes Maß an Irrationalismus und Individualismus mit dem Anspruch gegenüber, gleichzeitig Gegensatz zur und Ausdruck dieser Zeit zu sein.
Die Frage nach einer zukünftigen Kultur oder Kultur der Zukunft ist ganz wesentlich durch die Überlegung bestimmt, inwieweit Kunst autonom sein könnte. Sie ist dahingehend zu beantworten, daß jede Ausdrucksform durch ihre Zeit determiniert ist und in dialektischer Beziehung zu ihrer Epoche steht. Selbst dann, wenn eine Gestaltungsform ihrer Zeit scheinbar vorauseilt, indem sie in einem Gegensatz zum allgemein gültigen ästhetischen Verhalten steht und den unreflektierten Erwartungshaltungen der Mehrheit nicht entspricht, ist sie als reiner Ausdruck ihres Entstehungskontextes aufzufassen.
Seite mit Bild von den Plänen
„Das Heimatmuseum für die Kultur der Zukunft“, heißt es in der Projektbeschreibung, „ist als ideeller Entwurf und Spurensicherung eines Kulturbegriffs zu verstehen, der das Bewußtsein von einem großen Zusammenhang aller menschlichen Erfahrung ebenso einschließt wie die Relativität der Vorkommnisse in Raum und Zeit“.
Die Grundlage bildete die künstlerische Auseinandersetzung mit den Strukturen physikalischer Kräfte und deren Abbildbarkeit durch verschiedene Medien. In solchen Strukturen ist die Beziehung der Teile zum Ganzen derart beschaffen, daß diese jede Veränderung, Vertauschung, Spiegelung, Eliminierung und Subsummierung von Kräften aufzunehmen imstande ist. Sie verfügen über jene Flexibilität, die die Ausformung aller möglichen Zusammenhänge zuläßt. Der Teil wird als das Veränderliche im Totalitätszusammenhang begreifbar.
Kräftekonstellationen im Gleichgewicht stellen Ruhepunkte im Fluß fortschreitender Veränderungen dar. Sie entsprechen auf diese Weise allen denkbaren überkommenden und künftigen Gegenständen eines Museums. Es wird Aufgabe von gegenwärtigen und künftigen Menschen sein, immer neue Leerstellen in der unendlichen Struktur zu besetzen.
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Kräftesystem KS 155, 1979 |
Die künstlerisch-architektonische Umsetzung dieses Konzepts verzichtet auf die Errichtung eines Gebäudes als „Kulturbehälter“; sie situiert das Museum in einer neuen, künstlich geschaffenen Landschaft, und zwar auf der in den siebziger Jahren errichteten Wiener „Donauinsel“. Durch die Festlegung eines Strukturfeldes in der Form eines Koordinatenrasters wird die innere Ordnung einer Kräftekonstellation nach außen in den landschaftlichen bzw. städtischen Umraum erweitert und bildet die Rahmenbedingungen für die Ausbildung und Position der Elemente. Diese Festlegung bringt eine limitierte Anzahl von Varianten hervor, die in ihrer Gesamtheit zu einer komplexen, höheren Ordnung führen. Die Auswahl einer dieser Varianten und die Horizontalprojektion derselben auf das Gelände der Donauinsel ergeben den Grundriß. An den definierten Schnittpunkten des Koordinatenrasters befinden sich vier kreisförmige, in die Landschaft eingebettete Orte, die jeweils mittels eines vertieft geführten Weges mit dem Zentrum (Null-Punkt) verbunden sind. Die einzelnen Orte beherbergen die konstituierenden Determinanten der Kräftekonstellation mit der Widmung für „Raum-Figur“, „Kalkül-Mathematik“, „Farben“ und „Töne“ und präsentieren jeweils die Umsetzung dieser Kräftekonstellation in das entsprechende Medium. Die hier dargestellten Medien sind beliebig erweiterbar und ergänzbar.
Die systematische Gestaltungsform des Gesamtprojekts spiegelt sich in der Struktur seiner Elemente wider; die Inhalte der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungsformen und der rational erfaßbaren mathematischen Funktionen decken sich; alle Teileinheiten enthalten jene strukturelle Relation, die für die am Ausgangspunkt des Konzepts stehende Kräftekonstellation (KS 155, 1979) maßgebend ist.
Dieser konstruktive Ansatz kann als strukturverwandt mit Phänomenen unserer heutigen Lebenswirklichkeit angesehen werden. Im Sinne des Schweizer konstruktiven Künstlers Richard Paul Lohse können die Denk- und Arbeitsweisen systematischer Gestaltgebung durch die Verwendung objektivierter Mittel, die Nachvollziehbarkeit der Methode und die Möglichkeit der Vorausberechenbarkeit der Ergebnisse modellhaft auf die Veränderung der Gesellschaft und ihrer Umwelt angewandt werden und insofern helfen, den Boden für zukünftige kulturelle Ereignisse vorzubereiten.
Wahrzeichen für Hannover
 
Modell für Architekturwettbewerb 1983: "Wahrzeichen für die Stadt Hannover" Walter Kaitna in Zusammenarbeit mit Wolfgang Kaitna
Die Aufgabe für den zweiten Wettbewerb (1983), an dem Walter Kaitna teilgenommen hatte, lautete, in Hannover für den Platz vor dem Regierungsgebäude ein Wahrzeichen zu entwerfen. Dieser Platz erstreckt sich teilweise in Form einer breiten Brücke über den Fluß Leine und wird seitlich von einem Flußbauwerk begleitet. Er wird durch eine Straße vom Regierungsgebäude getrennt und ist mit zahlreichen verkehrs- und wasserbautechnischen Einrichtungen bestückt. Die technologische Realität und die funktionelle Formgebung dieser städtebaulichen Situation sind nicht zu ignorierende Faktoren – sie können weder wegdiskutiert noch verändert werden.
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Kräftesystem KS 249, 1981 |
Der Wettbewerbsbeitrag schlägt eine flächige, rasterförmige Gliederung des Platzes vor. Die Visualisierung erfolgt mittels seriell angeordneter und in Form geometrischer Körper gestalteter Natur (Kugel, Kegel, Kegelstumpf), durch eine der Linearstruktur folgende Wegeführung und durch mit farbigem Glas gefüllte Rasterflächen (Glasbeete). Im Zentrum der Anlage erhebt sich ein dreißig Meter hohes Kräftesystem (KS 249, 1981).
Die Schaffung dieses Wahrzeichens an einem einprägsamen Ort ist mit der Projektion menschlicher Rationalität nach außen kongruent. Dieses Zeichen wird auf produktive Weise wirksam, indem sich die es bestimmende und seine Bedeutung ausmachende strukturelle Ordnung visuell vermittelt. Das Projekt versucht in obigem Sinn, mit den essentiellen Mitteln konstruktiver Kunst in der Identitätsfrage der Gegenwart Position zu ergreifen. Konstruktive Gestaltung wird als adäquates künstlerisch-architektonisches Mittel dieser Epoche verstanden und zu deren Identitätsbildung eingesetzt.
* DI Wolfgang Kaitna; Architekt. Dieser Text wurde publiziert in: Walter Kaitna – Kräftesysteme 1962-1983. Hrsg.: Kunstraum Puchberg, Wien 1994
(S. 125-129)
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